kultur-kontakte-kommunikation

Mir ist aufgefallen, welchen großen Einfluss Beziehungen zu Menschen auf das Einleben haben. Wenn wir niemanden gehabt hätten, der uns am Anfang an die Hand nimmt und uns spiegelt, wie man sich in gewissen Situationen zu verhalten hat, hätten wir einen weitaus schwierigeren Start hier gehabt.
In vielen Lebenslagen wird etwas darüber geregelt, ob man jemanden kennt, der einem direkt helfen kann. Aus Deutschland ist man gewohnt, dass jede Dienstleistung, alles, was man will, unabhängig davon ist, ob du die Personen kennst oder nicht. Wenn ich in Ghana alleine herumlaufen würde, dann würde ich zwar irgendwie bekommen, was ich will, aber es wäre etwas ganz anderes. Ohne Kontakte hier wüsste ich zum Beispiel gar nicht richtig, wie ich Trotro fahren kann. Solche Informationen existieren in den „kollektiven Gedächtnissen“ der Locals; du kannst nicht einfach googeln, welche Trotro-Route dich zu deinem Ziel führt, du musst es wissen oder bist auf andere Leute angewiesen, die gewillt sind, dir zu helfen. Gleiches gilt für die Food-Stände, an denen nicht unbedingt geschrieben steht, was verkauft wird oder die zuerst gar nicht nach Essen aussehen. Am Anfang gab es für uns nur diejenigen Essensstände, die uns vorher von einem Bekannten gezeigt wurden und von denen wir danach dann wussten, was sie verkaufen.
Bei vielen Sachen heißt es also: Wenn man etwas noch nicht kennt (da ist ja klar, wenn man gerade erst in einem Land angekommen ist), ist meist die einzige Möglichkeit, über Locals an Informationen zu gelangen (oder natürlich über Erfahrungen, aber das kann manchmal vorher sehr irritierende Situationen hervorrufen…). Der Unterschied ist nämlich, ob du Personen hast, die „auf deiner Seite“ sind, die also deine Freunde sind und dir helfen, während alle anderen dich als Fremden wahrnehmen. Zum Ankommen und Einleben in einem fremden Land sind also lokale Personen, die dir die Hand reichen, unablässlich, außer man möchte sich einer sehr großen Herausforderung stellen.

Auf der anderen Seite hätte ich auch eine total andere Erfahrung gemacht, wenn ich alleine gewesen wäre (ohne meine Mitfreiwilligen). Dass wir unsere ersten Tage in Ghana zu dritt verbracht haben, hatte einen enormen Einfluss darauf, wie schwierig die neuen Begegnungen für mich waren. Ich habe gemerkt, dass jede Situation sich gleich viel sicherer anfühlt, wenn ich nicht alleine mit unbekannten Dingen bin, sondern jemanden dabei habe (meine Mitfreiwilligen in diesem Fall). Und dabei ist es gar nicht wichtig, ob die andere Person die Situation unbedingt meistert. Allein zu merken, dass jemand genauso verwirrt ist wie du, hilft in schwierigen Anfangsphasen. Das Gefühl, man stünde alleine außerhalb einer Gruppe, die genau weiß, wie sie miteinander kommunizieren muss, ist damit schwächer. Man hat seine „eigene Gruppe“ dabei, innerhalb derer man sich mit Normen und Erwartungen auskennt. Man kommuniziert dann sozusagen von Gruppe zu Gruppe und hat ein eigenes „Wir“-Gefühl. Wäre ich alleine, würde ich mich oft nur als die außenstehende Person begreifen. Gleichzeitig hilft es meiner Meinung nach dabei, sich selbst zu verstehen oder auch treu zu bleiben. Andere Menschen spiegeln immer sehr gut, wie man selbst ist. Für mich ist eine Art von Bodenständigkeit eingekehrt, weil ich immer Personen um mich hatte, die mit mir grundlegende Annahmen teilen.

Als Personen, mit denen man nicht die Barriere von Kulturunterschieden hat, haben Anna, Lucy und Janne mir einen gewissen Halt gegeben und erinnern mich an die eigenen Annahmen und Prinzipien.
Personen, mit denen man nicht die Barriere von Kulturunterschieden hat, geben einem Halt und erinnern einen an die eigenen Annahmen und Prinzipien. Dadurch entsteht ein Gefühl von Sicherheit, wenn eine „neue” Gruppe deine Gewohnheiten absolut infragestellt. Um die Barriere von Kulturunterschieden und Missverständnissen zu überwinden, braucht es allerdings aus meiner Erfahrung unbedingt den Kontakt zu Menschen, die sich auskennen und intuitiv wissen, wie eine Gesellschaft tickt, die eben eine Ahnung haben, wie alles funktioniert, einfach weil sie so aufgewachsen sind. Genauso wie für uns zahlreiche Dinge selbstverständlich sind, weil wir sie schon unzählige Jahre so gemacht haben, wie wir sie halt machen.

Insgesamt habe ich in den letzten drei Wochen gemerkt, wie viel Einfluss die Faktoren Menschen, Kontakte und Beziehungen auf das eigene Leben haben können. Ich habe mich selbst immer als sehr unabhängig von anderen Menschen wahrgenommen, in einer Weise, dass ich gut allein mit Situationen zurechtkomme und nicht immer nach Unterstützung suchen möchte. Sobald ich den Fuß aber in eine Umgebung setze, in der mir erstmal bewusst wird, wie schwierig große Kulturunterschiede sein können, merke ich, dass ich doch in vielen Situationen nicht gerne auf mich allein gestellt sein möchte.

In unserem Vorbereitungsseminar haben wir sogar über genau dieses Thema gesprochen: interkulturelle Kommunikation. In einem sehr interaktiven Experiment hatte ein Referent (Maximilian Engl — Kubekom) uns als Gruppe der Freiwilligen ein Gefühl dafür gegeben, was es mit uns macht, wenn er unseren Erwartungen an ihn so absolut nicht gerecht wird. Dadurch haben wir uns als Gruppe „vereinigt“ und ihn als einen Außenstehenden beobachtet, der irgendwie unsere Grundannahmen nicht teilt.
Schlussendlich ging es um das Überthema „Ethnozentrismus“. Wir haben uns mit zwei verschiedenen Weltanschauungstheorien beschäftigt: Universalismus und Partikularismus (Vorrang des Allgemeinen & Ganzen vs. Vorrang des Besonderen & Einzelnen).

Vor allem Deutschland ist, wie auch zum Beispiel die USA oder Großbritannien, universalistisch geprägt. Nach dieser Theorie geht man davon aus, in jeder Situation nach den gleichen Grundsätzen und Maßstäben zu entscheiden und zu handeln. Man baut auf „universelle Gesetze“, die für alle Menschen gleich gelten. Strikt betrachtet müsste man sich jedem Menschen gegenüber auch gleich verhalten. Eine universalistische Haltung korreliert oft mit einem eher individualistisch geprägtem Weltbild. Kulturell betrachtet heißt dies aber auch, dass universalistisch geprägte Länder davon ausgehen, dass ihre Kultur einen universellen Anspruch erheben kann und auch die „richtige“ Kultur für alle anderen Länder wäre.

Im Partikularismus geht man davon aus, dass es nicht „eine richtige Version“ gibt. Werte und Gesetze werden als gruppenabhängig, nach kultureller Zugehörigkeit betrachtet. Es geht darum, sein Verhalten an eine besondere Situation anzupassen und bei Entscheidungen den konkreten Einzelfall zu berücksichtigen. Außerdem wird eher kollektiv gedacht: Man legt den Fokus auf sein eigenes „Wir“. Freunden hilft man eher als Fremden. Deswegen kann man sagen, dass hier nicht alle Menschen „gleich“ behandelt werden.

Wenn man nun mit einer allzu universalistischen Haltung in ein partikularistisch geprägtes Land kommt, wird man schnell enttäuscht. Denn die eigenen „naiven“ Ansprüche, dass doch für alle Menschen das Gleiche gelten sollte, treffen meist nicht zu. Dinge werden intuitiv entschieden, abhängig von den Personen, die sich gegenüberstehen. Prinzipien und Selbstverständlichkeiten rücken eher in den Hintergrund. Es herrscht eine gewisse Flexibilität in Bezug darauf, wie man Dinge angeht. Sobald man in das „Wir“ aufgenommen wird, eröffnen sich einem viel mehr Möglichkeiten (nicht nur der Preis für Lebensmittel sinkt, wenn man mit den Personen „befreundet“ ist).

Kulturbewusste Kommunikation bedeutet, sich dafür zu sensibilisieren, dass Personen mit einer anderen kulturellen Herkunft oft in grundlegenden Fragen total unterschiedliche Grundannahmen haben. Unsere Aufgabe in diesem Jahr wird es bleiben, Kulturunterschiede und gegensätzliche Weltanschauungen zu verstehen, zu reflektieren und zu lernen, mit daraus entstehenden Konflikten umzugehen. Vielleicht auch einmal die Sichtweise zu wechseln und die Stärken sowohl des Universalismus als auch des Partikularismus anzuerkennen.

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