
Entwicklungszusammenarbeit:
Hilfe oder Herrschaft?
Independence Square, Accra, Ghana
Entwicklungspolitik ist doch im Grunde gut – oder etwa nicht?
Der Sektor der Entwicklungspolitik steht vor dem größten Umbruch seit Jahrzehnten. Dies zeigte kürzlich nicht nur die „Zerschlagung“ der Entwicklungsbehörde USAID unter Donald Trump, die drastische Kürzungen und Massenentlassungen beinhaltete, die international massive Kritik ausgelöst hat. Denn auch die auch die EU plant, ihren Etat für Entwicklungszusammenarbeit um etwa zwei Milliarden Euro zu reduzieren. Zudem sind in den Haushaltsplänen der neuen Bundesregierungen nur noch 10,3 statt 11,2 Millionen Euro für das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung vorgesehen. Unsere Entwicklungsministerin, Reem Alabali Radovan, sprach als Reaktion auf diese Entwicklungen von einer „schmerzhaften“ Entscheidung. Doch nicht nur das BMZ, sondern auch das Auswärtige Amt, und damit die humanitären Projekte, sind von den Kürzungen betroffen. So streicht die Bundesregierung die Unterstützung für zivile Seenotrettung auf dem Mittelmeer, die bis dato mit 2 Millionen Euro vom Auswärtigen Amt mitfinanziert worden ist.
Aufgrund dieser Entwicklungen prognostiziert die Unternehmensberatung McKinsey in einer Studie, dass in diesem Jahr weltweit ein Viertel weniger Leistungen für Entwicklung erbracht werden als noch 2024. Dies würde eine finanzielle Lücke von 40 bis 60 Milliarden US-Dollar bedeuten, die global für humanitäre und entwicklungspolitische Projekte fehlen werden.
Aktuell werden Stimmen laut, die diesen Trend scharf kritisieren und fatale Folgen für Menschen weltweit befürchten.
Vor allem Nichtregierungsorganisationen und internationale Organisationen, wie die Weltgesundheitsorganisation oder das Kinderhilfswerk UNICEF, müssen schon jetzt dramatische Kürzungen überbrücken. UNICEF wird in diesem Jahr beispielsweise 1,6 Milliarden Euro zu wenig zu Verfügung haben. Geld, das dazu bestimmt ist, Kinderleben weltweit zu retten. Geld, das jetzt fehlt.
Warum liegt aber im Rückgang von Entwicklungsfinanzierung überhaupt eine Krise?
Experten befürchten einen rasanten Anstieg humanitärer Krisen und eine extreme Verstärkung von Armut und Hunger, vor allem in unsicheren Regionen, die bereits von Krieg und Krisen geplagt sind. Eine aktuelle Studie des Fachmagazins „The Lancet“ geht darüber hinaus davon aus, dass das Leben von mehr als 14 Millionen nun wegen ausbleibender humanitärer Hilfe auf dem Spiel steht.
Denn es gilt nachweislich: Humanitäre Hilfe rettet Leben.
Seit 1990 hat sich aufgrund der Entwicklungszusammenarbeit die Kindersterblichkeit und die Anzahl von Personen, die in extremer Armut leben, halbiert. Laut des Global Center for Development haben Entwicklungsprogramme der Behörde USAID jährlich das Überleben von 2,3 bis 5,6 Millionen Menschen gesichert.
Für Entwicklungszusammenarbeit spricht darüber hinaus, dass sie wie ein Versicherungsmechanismus wirkt: Indem das Risiko von Krieg, Armut und Hunger global gesenkt wird, kann Entwicklungspolitik präventiv für globale Sicherheit und Stabilität sorgen. Steht das nicht im Interesse aller Staaten?
Auch hinsichtlich der Globalisierung scheint es, dass Zusammenarbeit die einzig logische Forderung sein müsste: In zentralen Bereichen wie Gesundheit, Klimaschutz und Wirtschaft sind wir bereits stark vernetzt. Probleme wie die Klimakrise lassen sich nur global lösen. Sind internationale Partnerschaften aktuell nicht wichtiger denn je?
Das BMZ ist in Deutschland für die internationalen Partnerschaften verantwortlich und ist in seiner Arbeit von verschiedenen Kriterien geleitet. Oberste Relevanz hat der Humanismus: Die Wahrung der Menschenrechte und das Retten von Menschenleben. Zusätzlich orientiert sich die Arbeit stets an den SDGs, den 17 Zielen für nachhaltige Entwicklung der Vereinten Nationen und strebt die Stabilisierung in krisenreichen Regionen an. Darüber hinaus verfolgt das BMZ allerdings auch die wirtschaftlichen Interessen Deutschlands. So bestehe auch für deutsche Unternehmen in internationaler Zusammenarbeit mit dem globalen Süden eine Chance.
Manche argumentieren darüber hinaus, dass der Westen sich gerade jetzt nicht aus der Entwicklungspolitik zurückziehen sollte, um nicht seine globale Vorreiterrolle zu verlieren. Diese sei momentan vor allem durch China gefährdet, welches in der Vergangenheit zahlreiche Infrastrukturprojekte vor allem auf dem afrikanischen Kontinent verfolgt hat und sich starken Einfluss verschaffen konnte.
Doch trotz dieser mutmaßlichen Vorteile, die die Entwicklungszusammenarbeit für die Welt und auch für Deutschland hätte, werden Hilfen weltweit vor allem aus einem Grund gekürzt: Legitimationsdruck. Vor der eigenen Bevölkerung zu rechtfertigen, warum Geld ins „Ausland verschenkt“ wird, statt für die Steuerzahlenden ausgegeben zu werden, scheint schwieriger zu werden.
In den vergangenen Jahren sahen sich die Entwicklungsministerien stets auch mit dem Vorwurf der Intransparenz konfrontiert. Die Verwendung der Mittel sei schwer nachzuverfolgen und man könne nicht ausschließen, dass indirekt kritische Projekte unterstützt werden. Laut wird stets die Furcht vor der Förderung von Korruption oder der Mitfinanzierung autoritärer Regimes. Auch in von der EU und dem UN-Flüchtlingshilfswerk UNHCR mitfinanzierten Flüchtlingslagern in Lybien soll es zu schweren Menschenrechtsverletzungen gekommen sein.
Zudem stellen viele die Effektivität von Entwicklungshilfe per se infrage. Schlüssig scheint diese Sorge, wenn man Folgendes betrachtet: Die 78 ärmsten Länder der Welt haben sich zwischen 1960 und 1970 noch schneller entwickelt als zwischen 2014 und 2024. Und dies, obwohl die Entwicklungsfinanzierung stetig gestiegen ist. Fraglich ist also: Führt mehr Geld notwendigerweise zu einem höheren Fortschritt?
Eine mögliche Perspektive ist also: Entwicklungszusammenarbeit sei zwar im Grunde gut, doch vor allem sei sie eine ineffiziente Geldverschwendung. Doch noch eine von dieser Haltung grundverschiedene weitere Perspektive ist möglich, die sogar diesen letzten positiven Aspekt der Gutartigkeit infrage stellt.
In der Kürzung der Entwicklungsausgaben weltweit besteht eine Chance. Eine Chance darauf, dass sich Länder des globalen Südens aus der Abhängigkeit gegenüber dem Norden befreien.
„Entwicklungshilfen“ entstanden ursprünglich in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts aus der Fortzahlung von Mitteln, die europäische Kolonialmächte an ihre ehemaligen Kolonien zahlten. Diese hatten damals noch den Zweck, Abhängigkeiten aufrechtzuerhalten.
Dieses asymmetrische Geber-Nehmer-Verhältnis besteht noch bis heute. Reiche Industriestaaten des globalen Nordens, der „Westen“, hilft, der globale Süden, die armen „unterentwickelten“ Länder benötigen diese Hilfe. Von diesem Narrativ, Länder des globalen Südens seien nicht selbst in der Lage sich zu entwickeln, ist die Entwicklungszusammenarbeit auch heute noch geprägt. Diese Asymmetrie in der Zusammenarbeit wird vor allem von afrikanischen Stimmen als Nachwirken eines kolonialistischen Weltbildes kritisiert.
Die Partnerschaften möchten zwar auf Augenhöhe stattfinden, jedoch geht man stets davon aus, dass es den Westen braucht, um Fortschritt zu verschaffen. An dieser Stelle sollte man auch die Frage stellen, nach welchen Maßstäben sich unser Begriff von „Entwicklung“ überhaupt richtet. Die Klassifizierung in „entwickelte“ und „unterentwickelte“ Länder setzt den westlichen Entwicklungsstand als Norm. Länder, die von dieser Norm abweichen, werden als defizitär betrachtet und hätten Entwicklung nötig. Doch denken wir an die Klimakrise: Wie können wir davon ausgehen, dass unsere Entwicklung die „richtige“ ist, dass sie universell so geschehen sollte und dass andere Länder nach diesem Maßstab streben sollten?
Zurück zum Geber-Nehmer-Verhältnis: Ganz konkret lässt sich dies durch die Bedingungen belegen, welche an Hilfen für Empfängerländer geknüpft werden. Beispielhaft sind hier Kredite des Internationalen Währungsfonds (IWF). Aufgabe des IWF sollte sein, Staaten zu unterstützen, wirtschaftliche Stabilität zu erlangen.
Der IWF fordert allerdings Maßnahmen von den empfangenden Staaten, die weitaus mehr beinhalten als reine Mittel zur Stabilisierung. So war beispielsweise Ghana in der Vergangenheit gezwungen, ihre Fluggesellschaft und Bahnlinien zu privatisieren, zudem mussten Sozialprogramme abgebaut werden. Neutral sind solche Maßnahmen offensichtlich nicht, sie setzen eine neoliberale, westliche Agenda.
So wird Entwicklungszusammenarbeit zum Instrument für Kontrolle & Einfluss.
Ausgehend davon könnte man nun argumentieren: Der Rückgang von Entwicklungsfinanzierung ist gut!
Solch eine Perspektive vertritt auch der ehemalige Außenminister Tansanias, January Makamba, der afrikanische Poltiker:innen aufforderte, nun endlich Rechenschaft abzulegen und zu erkennen dass die Entwicklung die Aufgabe der Länder selbst sei. Denn nach Makamba seien afrikanische Länder selbst in der Lage, Geld aus dem eigenen Haushalt zu mobilisieren und die Lücken der Entwicklungshilfe zu füllen. Als Voraussetzung dafür, sieht er den nötigen Druck. Denn in der Vergangenheit hätten sich die Regierung aus der Verantwortung gezogen, selbst für das Wohl ihres Landes einzustehen, da ununterbrochen Hilfsleistungen geflossen seien. Genau deswegen sieht Makamba in dieser Krise eine Chance, den Weg in die Unabhängigkeit von internationalen Hilfen zu finden.
Doch würde der Stopp von Entwicklungshilfe wirklich zu einer nachhaltigeren, besseren Welt führen? Sollten wir die Abkehr von entwicklungspolitischer Zusammenarbeit nun einfach so akzeptieren, in dem Glauben dass so für globale Gerechtigkeit gesorgt werden kann?
Aus unserer europäischen Perspektive stellt sich nun vor allem eine Wertefrage. Das Einstellen humanitärer Hilfen wendet sich hochgradig gegen den Gedanken von Solidarität und Humanismus. Wir können uns eine moralische Pflicht vorstellen, die die Rettung der Menschenleben als zentrale Aufgabe betrachtet. Eine solche Absage an die Entwicklungspolitik könnte also auch als eine Abkehr vom Humanismus gedeutet werden – dem Kerngedanken Europas.