
geschichte der goldküste
Atlantische Wellen branden an die steinige Küste. Hinter der nächsten Buhne schimmert ein Farbenmeer aus traditionellen ghanaischen Fischerbooten. Dahinter liegt die bunte Altstadt Cape Coasts in der Mittagshitze. Die hoch am Himmel stehende Sonne wird von den kalkweißen Mauern eines massiven Bauwerks reflektiert: Cape Coast Castle, ein UNESCO-Weltkulturerbe.
Im Jahr 1555 bauten die Portugiesen auf diesem Stückchen Land zuerst eine kleine Festung, die eine entscheidende Rolle im frühen Handel mit Europa spielte. In den 1650er Jahren wurde die große weiße Burg, wie sie noch heute an der ghanaischen Küste steht, von den Schweden erbaut. Das Castle war zu dieser Zeit noch immer bloß ein Handelszentrum für Gold, Holz und Textilien. Nachdem es für kurze Zeit von den Dänen erobert wurde, gelangte es 1665 schließlich in britischen Besitz.
Dies beschreibt einen Wendepunkt für das Cape Coast Castle. Statt Handel mit Rohstoffen begann der Handel mit Menschen. Die Mauern und Räume dieses Gebäudes erzählen bis heute die schreckliche Geschichte davon, wie Menschen zu Handelsware gemacht wurden. Sie spielen eine wichtige Rolle, damit die Geschichte niemals vergessen wird und sich niemals wiederholt. Auch deswegen ist ein Besuch mindestens einer Sklavenburg, von denen man so viele an der ghanaischen Küste finden kann, Pflichtprogramm beim Besuch in Ghana.



Zu Kolonialzeiten war Cape Coast die Hauptstadt der „Gold Coast“, das Land des heutigen Ghanas. Nicht nur das Cape Coast Castle, sondern auch andere Festungen, wie die schon früher erbaute Burg in Elmina, spielten eine entscheidende Rolle im gesamten System des transatlantischen Sklavenhandels.
Laut Historikern wurden über 12 Millionen Menschen von der westafrikanischen Küste auf den amerikanischen Kontinent verschifft. Vom Cape Coast Castle sollen es wohl zwei bis vier Millionen gewesen sein — und diese Zahl spiegelt nur diejenigen Menschen wider, die die Schrecken des Castles vorher überlebt haben. Wie viele Menschen sind aufgrund von unmenschlichen Bedingungen schon während ihrer Gefangenschaft in den Kerkern verstorben? Keiner kann es sagen.
Das Castle liegt ruhig in der heißen Mittagssonne, im touristischen Kern der Altstadt Cape Coasts, dessen Straßen bis heute von alten portugiesischen Bauten geprägt sind. Im Innenhof des Castles spürt man die Sonne knallend heiß auf der Haut.

Die Tour beginnt vor dem Eingang zu den Kerkern für die männlichen Sklaven.
Der Weg führt ins Dunkle, hinab zu den Dungeons. Man kann die Atmosphäre innerhalb der Dungeons nicht beschreiben, man kann sie nur selbst spüren. Und dadurch versuchen, wenigstens den kleinsten Bruchteil dessen nachzuempfinden, was die vielen Menschen hier durchmachen mussten. Was viele nicht überleben konnten. Auf engstem Raum wurden versklavte Menschen zusammengepfercht, ja sogar geradezu zusammengeworfen und übereinandergestapelt. Hunderte Menschen mussten in dunklen Verließen unter der Erde ausharren. Manche blieben zwei Wochen, manche sogar bis zu drei Monaten unter der Erde. Sie hatten keinen Freiraum sich zu bewegen, sie durften sich nicht waschen, das Essen wurde ihnen wenn überhaupt vor die Füße geworfen. Dadurch wurden sie letztendlich wie Fracht behandelt, ihre Würde wurde ihnen genommen.
Die Atmosphäre in den Dungeons lässt Besucher:innen des Castles eines erfahren: Das Gefühl, sich unterhalb der Erde zu befinden, verborgen vor einer helleren Realität. Stickige Luft. Beklemmung durch die hohen dunklen Mauern. Dunkelheit, das einzige Fünkchen Licht lässt sich nur durch das hoch oben liegende Fenster erahnen. Und man spürt auf diese Weise nur was der Raum mit einem macht, man spürt nicht die eigentliche Lebensrealität, die die Dungeons für unzählige versklavte Menschen bedeutet haben.
200 Menschen in einem Raum.
Kein Platz. Kein Licht. Keine Luft.
Keine Pause. Kein Ende.
Eins erzählt der Tourguide immer wieder, sodass es jedem fest im Gedächtnis bleiben wird: Der Boden, auf dem man noch heute steht, besteht aus den menschlichen Überresten der Sklav:innen. Jegliche Körperausscheidungen, sogar verstorbene Kinder — man möchte es alles gar nicht hören, aber man muss. Man muss unbedingt hören, wie unzählige Menschen zum Äußersten unwürdig behandelt wurden und dass sich die Geschichte noch immer am Boden, an den Mauern, an der gesamten Sklavenburg ablesen lässt.
Wenn man die Dungeons verlässt und wieder in den Innenhof des Castles und ins Tageslicht tritt, ist man geradezu froh über die Hitze. Froh, sich nicht mehr unten im stickigen Kerker aufhalten zu müssen, obwohl es vielleicht gerade mal zehn Minuten gewesen sind.


Aber die Führung geht weiter. Direkt über den Dungeons befindet sich eine Kirche. Als das Cape Coast Castle „in Betrieb“ war, gab es auf dem Burggelände alles, was ein normales Dorf auch hat. So auch eine Kirche. Direkt neben dem Kircheneingang befindet sich auf Fußhöhe ein Fenster: Dies ist das einzige Fenster, das zu dem vorher besichtigten Dungeon gehört. Kirchenbesucher:innen sollten wohl bei Eintritt in die Kirche die Schreie der unter ihnen gefangen gehaltenen Menschen gehört haben.
Unten findet die Hölle statt, während oben der Himmel gepredigt wird.
Gleich neben der Kirche kann man über eine Treppe zu den ehemaligen Verwaltungsräumen und Privatgemächern der europäischen Sklavenherren gelangen. Die Zimmer sind zu luxuriös, zu hell und haben einen zu schönen Blick auf den Ozean. Es ist unfassbar, wie diese beiden Welten nebeneinander existieren konnten. Wie oben ein leichtes angenehmes Leben geführt wurde, während Hunderte Menschen unten im Horror lebten.
Oben: neun große Fenster für einen Menschen.
Unten: ein kleines Fenster für 200 Menschen.
Luxus und Licht im Vergleich zu Furcht und Finsternis.


Ein von den Dungeons ausgebauter Tunnel führt zur Südseite des Castles, zum Ozean. Als der Handel mit Sklav:innen 1807 von britischer Seite wohl offiziell beendet worden sein soll, wurde der Tunnel geschlossen. Heutzutage thront zu Ehren der Vorfahren und der vorchristlichen Religion vor dem verschlossenen Tunnel ein traditioneller „Altar“, auf dem ein lokaler, nicht-christlicher Priester sitzt. Es ist ein wichtiges Signal, dass an einem Ort, der für die Ausbeutung afrikanischer Menschen steht, heute ein Priester sitzt, der nicht etwa der christlichen Religion angehört, sondern einer traditionellen Naturreligion, die vor der Kolonialisierung und Missionierung ausgelebt wurde. Es symbolisiert die Ermächtigung, die mit der Bewahrung von Kultur, die vor der Kolonialisierung stattgefunden hat, einhergeht. Und es ist gut, dass diese Ermächtigung stattfindet, dass traditionelle Naturreligionen nicht vergessen werden sollen — gerade weil heutzutage 70 Prozent der ghanaischen Bevölkerung dem Christentum angehören.
An der Südmauer befindet sich die „Door of No Return“.
Von hier aus wurden Millionen Menschen verschifft.
Von hier aus haben sie ihre Verbindung zum afrikanischen Kontinent, zu ihrer Heimat, mitsamt ihrer Familie, ihrer Sprache und ihrem Namen für immer verloren.
Keiner weiß, wie die Menschen hießen, wer zu ihrer Familie gehörte. Keiner weiß, wie viele Personen unterwegs sterben mussten, ihre Lebensgeschichte für immer verloren zwischen den Kontinenten.
Diejenigen Menschen, die die gesamte Schreckensreise bis dahin überlebt haben, sind in Amerika angekommen. Die Geschichte vom Leben versklavter Menschen in Amerika ist eine andere, eine Geschichte von Baumwollplantagen über Kohleminen, von Unabhängigkeit und neugeformter afroamerikanischer Identität, über Rassismus und wiederum Selbstermächtigung. Nach der Entwurzelung haben also die Schwierigkeiten nicht aufgehört, auch bis heute nicht, aber an diesem Punkt hören sie hier auf — zurück nach Cape Coast.


Im Jahr 2019, 400 Jahre nachdem die ersten afrikanischen Sklav:innen auf dem amerikanischen Kontinent angekommen sind, hat die ghanaische Regierung das „Year of Return“ initiiert und damit Personen der afrikanischen Diaspora eingeladen und ermutigt, zurückzukehren und die eigenen Wurzeln zu entdecken.
Auch für jegliche andere Besucher:innen ist heutzutage ein anderes Schild relevant. Außen an der „Door of No Return“ steht stattdessen: „Door of Return“. Es ist unfassbar wichtig festzuhalten, dass heute alle zurückkehren können. Dass wir auch als Gäste durch diese Tür gehen können ohne dazu gezwungen zu werden. Dass es für uns immer einen Rückweg geben wird.
An einer Mauer der Festung hängt eine Inschrift:

Ein Buchtipp von Herzen, um anhand einer tollen Geschichte mehr über das Ganze zu erfahren: „Heimkehren“ von Yaa Gyasi

Door of No Return, Elmina

Innenhof des Elmina Castle

Blick aus den Räumen des Gouverneurs
Alle Bilder sind entweder von mir oder @martinwilde